Vom "Kunden" als solchen
Vor vielen Jahren habe ich den weisen Entschluss gefasst dem vaterländischen Unrechtssystem den Rücken zu kehren, und in den Goldenen Westen "rüberzumachen". Ich begab mich also auf den beschwerlichen Weg, kroch bäuchlings über den Minengürtel, biss ein paar sadistischen Grenzern die Kehle durch, schlug mit bloßen Händen ein Loch in den Eisernen Vorhang, und verschwand gen Westen in den Sonnenaufgang (damals ging das noch). Das war 1991, und ich zarte Neun Jahre alt.
Geschadet hat es jedoch nichts, denn von da an konnte ich die saubere hochdeutsche Sprache aufsaugen wie ein Schwamm. Trotzdem habe ich mich von der ur-heimatlichen Mund-Art nie ganz abgewandt und immer mal wieder geschaut, was da so los ist, jenseits des Zonen-Gürtels.
Und es war einiges los: Bald begann mein Cousin nicht mehr wie ich von "dem Typen" oder "diesem Kollegen" zu sprechen, sondern nur noch von "dem Kunden". "Kam so ein Kunde an und reißt das Maul auf. Hätte ich dem Kunden fast eine gegeben." (Das hat mein Cousin in der Form nie gesagt.)
Bald darauf kam einer meiner kleinen Schutzbefohlenen von den Pfadfindern nach einer Sauffahrt nach Dresden zu mir, und wusste zu berichten, dass "die da drüben total merkwürdig reden". Angeblich ging es die ganze Zeit nur: Ey, dieser Kunde... und der Kunde... alter, wenn ich den Kunden in die Finger kriege...
Wenig später kam Schlomo zu mir, der zu dieser Zeit seinen Ersatzdienst in einer Therapieanstalt für Drogenabhängige ableistete, und berichtete von einem seltsamen Vorkommnis. Und zwar haben sie ihren Klienten verboten, sich gegenseitig als "Opfer" zu bezeichnen. Eine Maßnahme, die auf einen respektvollen Umgang untereinander hinarbeiten sollte. Des weiteren galt das Verbot für "Kunde", welches die beiden ostdeutschen Kollegen ständig in den Mund nahmen. Der Chef des Hauses dachte, die Bezeichnung beziehe sich auf den Drogenstrich und diffamiere die so genannten als "Freier".
Doch weit gefehlt, "Kunde" ist jeder. Ganz ohne Hintergedanken.
Zu guter letzt holte mich das Wort dann selbst ein, als ich mich von einem Verkaufsfernsehsender, dessen Namen ich nur zu gerne nennen würde, ausbeuten ließ. Ich hatte nämlich einen netten Kollegen an der Seite, der sich ebenfalls ausbeuten ließ. Dieser konnte mit seinem sächsisch gefärbten Hochdeutsch herrliche Anekdoten über alle möglichen "Kunden" erzählen.
Tja, so ist das, ihr "Kunden". Eigentlich ein prima Wort. Ich bin noch nicht ganz schlüssig, aber ich stehe kurz davor diesen Ausdruck hier auch zu etablieren. Hat einfach eine gewisse Lässigkeit, und ist schon etwas freundlicher, als über "diesen Spacken" oder "den Schmock" zu reden.
3 Kommentare zu "Vom "Kunden" als solchen"
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Lex Dildo a.k.a. Skeleton Meteor
Auch nicht von schlechten Eltern: "Hoschi".
jasper.
In ein paar Jahren folgt dann der Beitrag über die "mizzle" als solche.
Ich hoffe es schwer!
TediousNilsen
bunt ist das dasein und granatenstark, hoschi!