Vom Regen in die Traufe.
Heute sah ich mich gezwungen einen Beschwerdebrief zu verfassen. Aber lest selbst:
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit vielen Jahren genieße ich beinahe täglich die Möglichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B zu reisen. Der realistisch gestaltete Fahrplan, die Sauberkeit der Busse und Bahnen und nicht zuletzt auch die Freundlichkeit der Mitarbeiter ließen mir nie einen Grund zur Beanstandung. Die Fahrpreisgestaltung halte ich angesichts steigender Energiepreise und Lohnkosten für sozial verträglich und hatte somit nie einen Grund keinen Fahrschein zu lösen. Insbesondere die speziellen Tarife für Schüler und Rentner finden meine Zustimmung.
Fast täglich bin ich mit Bus und Bahn unterwegs und hatte stets den Eindruck, dass diese auf einem technisch guten Stand sind: keine aufgeschlitzten Sitzpolster, eine gute Belüftung, Einsatz moderner Fahrzeuge, Ein- und Aussteigehilfen für Gehbehinderte, vorhandenes Sicherheitsmaterial; Nothämmer, Feuerlöscher, sowie Verbandskasten; und in manchen Bussen sogar ungeahnte Annehmlichkeiten wie Fernseher oder Klimaanlage. Ich konnte mir nie vorstellen, wie dieses kostenlose Zusatzangebot ohne eklatante Erhöhung der Fahrpreise zustande
gekommen sein konnte...
Ich hoffe nicht, heute möglicherweise die bittere Antwort dafür gefunden zu haben:
Um 12.30 Uhr stieg ich in Pattensen dem Bus mit der Fahrzeugnummer 701 der Linie 300 nach Hannover zu, um bei Kaufland einige Besorgungen zu machen. Ich war angesichts des strömenden Regens sehr erfreut, eine angenehme Fahrt in einem warmen, trockenen Bus machen zu können. Da der Bus ziemlich ausgelastet war, setzte ich mich auf einen der letzten beiden verbliebenden Sitzplätze, als ich einen großen Wasserfleck auf dem neben mir gelegenen Polster des Sitzes am Fensterplatz bemerken musste. Nach kurzer Zeit stellte ich entsetzt fest, dass es sich bei dem Fleck nicht etwa um ein Missgeschick eines anderen Fahrgastes handelte.
Der Sitz war vielmehr von dem steten Strom aus Regentropfen, der durch eine Öffnungan der Fensteraußenseite verursacht wurde, durchnässt. Folglich war es mir unmöglich sowohl einen trockenen Platz für meinen Rucksack, als auch für meine Jacke zu finden. Den Rucksack auf den Beinen balancierend, begann ich mich ausgiebig in das Studium der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitschrift "Zeit" zu vertiefen. Bereits nachdem ich die ersten Zeilen eines interessanten Artikels über Richard Wagner überflog, legte sich der Bus in eine Rechtskurve, während gleichzeitig die ersten Tropfen das Gesicht meines Lieblingskomponisten so entstellten, dass man hätte annehmen können, er litt zeitlebens an einer seltenen, unheilbaren Hautkrankheit.
Erst, als auch einige Textpassagen betroffen waren und sich die Zeitung zusehends wellte, erwachte ich jäh aus meiner Kontemplation und bemerkte, dass während ich von einer Großzahl der Fahrgäste entgeistert angestarrt wurde, mir ein schriller Ton des Entsetzens entwichen sein musste. Hektisch und mit hochrotem Gesicht bemühte ich mich, den entstandenen Schaden zu begrenzen, indem ich versuchte, mit meinem Ärmel die Feuchtigkeit aufzunehmen, was nur dazu führte, dass sich die Gräuel fortsetzen. Das Papier flockte auf und obwohl ich die Zeitung sofort in den schützenden, aber inzwischen auch schon feuchten, Rucksack beförderte, war es mir unmöglich angesichts meiner angeborenen Sehschwäche, wieder zu Hause angekommen, die beschädigten Lettern zu entziffern.
Ich weiß, dass der Verlust eines einzelnen Artikels in unserer heutigen, materialistischen Zeit von vielen Beobachtern kaum als Schaden wahrgenommen werden dürfte. Was für mich jedoch schwerer wiegt, ist der große ideelle Verlust, der mir durch diesen unerfreulichen Vorfall entstanden ist.
Es war also nicht verwunderlich, dass meine Geburtstagsparty mit all meinen eingeladenen Freunden zu einem Desaster wurde. Trotz der anfänglich ausgelassenen Stimmung während des Walkürenrittes, verdunkelten sich die Mienen und die Unbeschwertheit der Festgesellschaft rapide. Auch die von meinen Freunden engagierte Stripperin schien nicht bei der Sache zu sein und beschwerte sich bei mir, so könne sie nicht arbeiten.
Bereits um 20.00 Uhr verließen die ersten Gäste mit versteinertem Gesicht die Feier. Nach einer weiteren Stunde entließ ich die zwei verbliebenen Gäste, während ich versuchte Contenace zu bewahren. Auch die reichhaltige Auswahl an Erfrischungsgetränken und Gemüsesäften, sowie die von mir zubereiteten Appetizer, wie Mettigel und Schmalzbrote, waren unangetastet liegen geblieben. Schließlich habe ich den festlich hergerichteten Wäschekeller verlassen, um mich schlafen zu legen. Dann, vor dem Einschlafen, spielte sich der Tag noch einmal vor meinem inneren Auge ab. Angestrengt überlegte ich, weshalb eine der wichtigsten Festivitäten meines Lebens und somit mein unbeschwerter Übergang ins Erwachsenenalter zunichte gemacht wurde. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der Tag buchstäblich ins Wasser gefallen war.
Inzwischen bin ich mir fast sicher, dass in dem eingangs erwähnten Artikel etwas sehr Bedeutendes gestanden haben muss, was mich vor dieser Schmach hätte bewahren können. War etwa, post-humum, eine weitere unentdeckte Oper aufgefunden, oder eines seiner Werke auf revolutionäre Weise neu interpretiert worden? Und waren so meine Partygäste enttäuscht gewesen, dass ich dieses Thema nicht angeschnitten hatte? Habe ich mich vielleicht zum Gespott meines gesamten Ausbildungsbetriebes gemacht? Und werde ich in absehbarer Zeit kein Buch mehr, ohne den spöttischen Blicken meiner Kollegen ausgesetzt zu sein, verkaufen können?
Ich hoffe sehr, dass ich nie wieder gezwungen sein werde in einem Bus zu fahren, der sich in einem solch desolaten Zustand befindet. Ich möchte Sie bitten, auch in Ihrem eigenen Interessen, diesen unhaltbaren Zustand abzustellen. Am Bus muss doch sicher auch ein Wasserschaden entstanden sein.
Ich möchte hiermit meiner Bestürzung Ausdruck verleihen und verbleibe.
Mit freundlichen Grüßen,
Jasper B.
3 Kommentare zu "Vom Regen in die Traufe."
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Herschel Rubinstein
ich möchte dich nur ungern aus deiner kontemplation reißen, aber was genau verbirgt sich hinter dieser mir sehr sympathischen groteske??
Red Baron
Der Ansatz ist gut: mit freunlichkeit und Humor kriegt Jasper schnell eine Monatsfahrkarte gratis Das mit der undichten Fensterscheibe stimmt ja auch, das ganze kommt also der wahrheit schon sehr nahe..
Herschel Rubinstein
ich denke heutzutage ist es auch durchaus salonfähig, die wahrheit ein wenig zu beugen.
ich warte gespannt auf die reaktion von regio bus.