Die zehn zweifelhaftesten Bahnhöfe
Eine persönliche Top Ten.
Nr. 10 Berlin Hauptbahnhof
Das Milliardengrab wurde an der Stelle des Lehrter Bahnhof gebaut. Auf besonderen Wunsch von Bahnchef Mehdorn wurde die Namensgebung nach einer öden Provinzstadt im Osten der Region Hannover fallengelassen. Der Bahnhof selbst ist meines Erachtens der erste, der von vorneherein als rauchfreier Bahnhof gebaut wurde. Insgesamt ist Berlin Hauptbahnhof so steril, dass man vom Boden essen könnte - ich bin aber sicher, dass das nicht durch die Benutzungsordnung gedeckt wäre und sofort Konflikte mit Sicherheitspersonal auslösen würde.
Als der Bahnhof eröffnet wurde, war ich zufällig in Berlin und sah mir mit einem Freund das Spektakel an. U2 spielten und es gab eine riesige Multimedia-Lichtshow. 500 Meter weiter lief gleichzeitig ein durchgeknallter Jugendlicher mit einem Messer Amok und verletzte 28 Menschen.
Nr. 9 Bf Fallersleben
Fallersleben ist jener Stadtteil von Wolfsburg, nach dem sich der Autor des Deutschlandliedes benannte.
Früher gab es da auch mal so ein richtiges Bahnhofshäuschen mit Wartehalle, wissen die Ortskundigen. Heute nur noch eine Brücke, mit der man aufs Gleis gerät, wo man sich den Wind um die Ohren fegen lässt und sich die Beine in den Bauch steht. Und wenn man Pech hat, steigt man in den falschen Zug und landet in Braunschweig.
Nr. 8 Bremen Hbf
Von außen sieht der Bremer Hauptbahnhof ja ganz schmuck aus.
Aber: Wenn man sich gerne mal gepflegt anpöbeln lassen will, reicht es, einmal hindurch zu gehen. Sicherlich wird man ohne weitere Umstände mit einem Beispiel hanseatischer Höflichkeit bedacht.
Nr. 7 Kiruna Centralstation, Lappland, Schweden
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es den Bahnhof Kiruna in der Form, wie ich ihn kennengelernt habe, überhaupt noch gibt. Denn: Die Stadt im schwedischen Lappland soll komplett um vier Kilometer versetzt werden, da der Erzabbau im Untergrund unterhalb der Stadt zu einer deutlichen Gefahr für die Behausungen und ihre Bewohner geworden ist. Den Erzabbau aufzugeben, kann man sich nicht vorstellen - vermutlich reicht die Attraktivität der Stadt bei weitem nicht aus, um dem Tourismus als verbleibender Einnahmequelle das Feld zu überlassen.
Im Sommer 2007 fand sich in Kiruna Central kein Bahnhofcafé mehr und nicht einmal ein schnöder Ticketautomat. Dafür fuhr der Zug in Richtung Stockholm dann aber ganz anstandslos.
Nr. 6 Girona, Katalonien, Spanien
Vor diesen Bahnhof hat man einen Platz gesetzt, der ein fantasievoll-absurdes Beispiel der Versiegelung von Innenstadträumen darstellt. Dort können Drogenabhängige und andere Tagediebe ihren Geschäften nachgehen. Das Innere des katalonischen Verkehrsknotenpunkts glänzt durch allerlei Sportbekleidungs- und Zeitschriftenläden sowie ein Nischengeschäft, in dem man billig DVDs und CDs (bevorzugt 80er-Jahre-Quälerei) erstehen kann. Dort habe ich gelernt, dass die einstmals angesagte "Alternative-Rock"-Band Heroes del Silencio ihren Namen von den "Helden des Stummfilms" (ihr wisst schon - Buster Keaton, Charlie Chaplin etc.) ableitet.
Noch etwas anderes habe ich gelernt: Auch in diesem Bahnhof nimmt man die Siesta, jene Ruhepause, die eigentlich den ganzen Nachmittag geht, sehr, sehr ernst.
Nr. 5 Kassel-Wilhelmshöhe
Ich weiß, ich weiß: Das ist einer der größten Verkehrknotenpunkte der Republik. Toll. Aber architektonisch hat man sich hier wohl auf die ein- und ausgehenden ICE-Züge eingestellt, nicht aber auf die Passagiere, die als zufälliges Beiwerk gelten können. Meine schlechte Entschuldigung für eine Recherche ergab einen Spitznamen, dem ich als gelegentlicher Durchreisender nur das Prädikat "treffend" verleihen kann: Palast der tausend Winde.
Nr. 4 Bf Kreiensen
In Kreiensen kreuzen sich zwei regional bedeutende Strecken im südlichen Niedersachsen: Die Trasse Hannover-Göttingen und die Verbindung von Weserbergland (Holzminden) und Harzrand (Seesen).
Auf dem hochtrabend benannten Gleis 102 gibt es einen Süßigkeitenautomaten.
Nr. 3 Swansea, Wales, Vereinigtes Königreich
Kennt ihr die schwarze Komödie "Twin Town"? Der Streifen aus den 90ern spielt in Swansea und sollte ursprünglich den Untertitel "Pretty Shitty City" tragen. Wer, wie ich im Jahre 2003, schon einmal eine Nacht in diesem Bahnhof verbracht hat, der weiß, wovon die Rede ist. Ein Synonym für Einöde, meine Freunde.
Nr. 2 München, Bayern
Wo andere Banhöfe deutscher Großstädte zu heiligen Stätten des Konsums ausgebaut wurden, ist München nicht mehr und nicht weniger als eine Fest der Schäbigkeit. Besonders schlimm, wie sich jeder halbwegs klar denkende Norddeutsche ausmalen kann, ist es jedoch zur Wiesn.
Nr. 1 Skopje, Former Yugoslavian Republic of Macedonia
Über diesen Bahnhof lässt sich wirklich wenig gutes sagen. Außer vielleicht, dass dort regelmäßig Züge weg fahren.
3 Kommentare zu "Die zehn zweifelhaftesten Bahnhöfe"
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Lex Dildo a.k.a. Skeleton Meteor
Brilliant. Aber Sie haben "Hope" vergessen. Dessen aufgelassenenes Bahnhofhäuschen -- inklusive zugenagelter Fenster und einem hängenden "H" -- wenig Hoffnung verstrahlt. Und natürlich Frankfurt/Main Hbf: Der ist nur was für Fahrgäste, die blutige Spritzen, benutzte Kondome und -- ich übertreibe -- kotbeschmierte Dildos mögen. Der fairnesshalber muss ich zugeben, dass man diese natürlich nur VOR dem Bahnhof findet. Innen regiert das omnipräsente Triumvirat aus überteuertem Einzelhandel, Franchise-Burgerbrätereien und Zeitschriftengedönsgeschäften.
Ansonsten: WANN? KOMMT? DEIN? BUCH?
magnus
Wenn ich den Worten des Autors so folge, verbringt er schon einen nicht gerade kleinen Teil seines Lebens auf Bahnhöfen. Ist er eventuell im Besitzt eines All Area Jahres Interrail Tickets und pflegt seinen Körper durch ganz Europa zu schaukel?
Eine Bahnhofsempfehlung wäre noch der "Hauptbahnhof" Mirow.
Dort fährt im übrigen auch schon seit der Grenzöffnung kein Zug. Man bedient sich dort immer noch des Schienenbusses um in die nächste Stadt zu kommen.
Herschel Rubinstein
eine schöne auflistung. ich denke in ostdeutschland gibt es eine menge bahnhöfe, die es verdient hätten mit aufgenommen zu werden, aber das ist ja auf dauer auch langweilig.
wenn man schon "europas zonen" kennt...